Das Dilemma vieler Print-Journalisten.

Die von mit sehr geschätzte Journalistin Susanne Gaschke schrieb neulich in der Welt am Sonntag über die Hybris ihrer Kollegen und solcher, die sich dafür halten. Denn: Medien sind in der Bevölkerung mittlerweile ebenso unbeliebt wie viele Politiker. Buzzword Lügenpresse. Fatal, wenn man selber meint, eigentlich Qualitätsmedien zu konsumieren und sich einen großen Teil seiner Meinung mit ihrer Hilfe bildet. Wie konnte es bloss so weit kommen? Eine Spurensuche …

„Die Medien sind ja die vierte Gewalt“, soll ein ehemaliger Chefredakteur der „Berliner Zeitung“ einmal gescherzt haben, „aber was sind noch mal die anderen drei?“ Der „Spiegel“ vergleicht Journalisten in einem Artikel aus diesem Frühjahr mit den demokratisch gewählten Abgeordneten der Parlamente: „Wenn man so will, sind auch die Medien in Deutschland repräsentativ. Journalisten haben es zu ihrem Beruf gemacht, die Nachrichten zu gewichten und zu entscheiden, was wichtig und was nicht so wichtig ist“, schreiben die Autoren – und stellen ihren Lesern gleich noch die „Vertrauensfrage“.

Ein Mitglied der „Zeit“-Chefredaktion sagt in einem Jubiläumsinterview zum 70. Geburtstag der Wochenzeitung, wenn auch mit einem relativierenden Nachsatz: „Wir Journalisten haben eine Muezzin-Position.“

Diese drei Selbsteinschätzungen sprechen, vorsichtig ausgedrückt, nicht eben für ein mangelndes Selbstbewusstsein des Berufsstandes. Drei der vier Gewalten werden kontrolliert, von Wählern, von übergeordneten Instanzen, von der Presse. Wer aber kontrolliert die „vierte Gewalt“? Parlamentsabgeordnete werden gewählt und beziehen daraus ihre Legitimation. Wer legitimiert die Medien? Und wozu genau? Unter welchen Umständen müssen sie zurücktreten? Schließlich: Muezzin und kritisches Instrument der Aufklärung? Ernsthaft?

Schirrmacher sah „journalistisches Übermenschentum“

Hier sei die These gewagt, dass die Haltung, die in den zitierten Äußerungen erkennbar wird, in journalistischen Kreisen ziemlich verbreitet ist. Der frühere „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher hatte dafür kurz vor seinem Tod eine harte Formulierung gefunden: Er nannte sie „journalistisches Übermenschentum“.

Es ist zumindest denkbar, dass journalistisches Übermenschentum das Publikum sowohl politik- als auch medienverdrossen macht. Dass es also im Ergebnis schlecht für Verlagshäuser ist. Schlecht für Rundfunk- und Fernsehanstalten. Vor allem aber schlecht für die Demokratie.

Dass es eine Entfremdung zwischen Lesern, Zuschauern und den klassischen (Bezahl-)Medien gibt, ist inzwischen in den meisten Redaktionen angekommen. Rückläufige Auflagenzahlen, sinkende Quoten und zu wenig Nachfrage bei den Jüngeren sprechen eine deutliche Sprache. Laut einer Untersuchung des Instituts Emnid für N24, den Fernsehsender der „Welt“-Gruppe, finden nahezu zwei Drittel der Befragten, dass die Medien die Sorgen und Nöte der Bevölkerung nicht ausreichend abbilden.

Laut einer Allensbach-Umfrage aus dem Februar sind drei Viertel der Deutschen der Meinung, dass die Medien zum Beispiel kein korrektes Bild vom Bildungsniveau und Familienstatus der Flüchtlinge des vergangenen Jahres zeichnen. Weniger Vertrauen war selten. Und, schaut man sich anonyme E-Mails und Postings, aber selbst formvollendete Leserbriefe an: Mehr Kritik und Hass waren auch selten.

Journalismus soll heute „neutraler“ sein

Es gibt eine Reihe von Trends im journalistischen Handwerk, die zu dieser Unzufriedenheit beitragen mögen. Der wirkmächtigste war vermutlich die Abwendung von einem Journalismus, der klar politisch verortbar war, auch parteipolitisch. Wer Ulrike Meinhof las oder Gerhard Löwenthals ZDF-Magazin ansah, wusste, worauf er sich einließ. Und wollte sich in seiner eigenen Weltsicht entweder bestätigt fühlen oder sich über die absurden Argumente der Gegenseite aufregen. Dem Mediennutzer wurde die Souveränität zugebilligt, den Standpunkt des Absenders einordnen zu können.

Seit etwa 20 Jahren – und vielleicht nicht zufällig parallel zu der neoliberalen Bewegung, die ja auch an eine einzige, quasi-wissenschaftliche Wahrheit in politischen und in Wirtschaftsfragen glaubte – soll der Journalismus immer entschiedener „neutral“ sein. Jedenfalls, was den politischen Standpunkt angeht (Eltern oder Nichteltern, Rad- oder Autofahrer, Mann oder Frau, schwul, lesbisch, transgender oder hetero, evangelisch, katholisch, muslimisch, atheistisch oder yogisch, und was sonst noch die Erkenntnisinteressen leiten kann, sind die Medienleute natürlich immer noch.)

Viele Verlage operieren mit Compliance-Regeln, die diese Neutralität garantieren sollen. Was scheitern muss, weil jede Anordnung von Material, jedes Wort und jedes Satzzeichen das Ergebnis einer rein subjektiven Entscheidung ist.

Über dem System schweben

Nach dem Verbot von „rechts“ und „links“ hat sich bei zu vielen Journalisten ein fatales „darüber“ breitgemacht. Sie glauben inzwischen tatsächlich an das Märchen von ihrer eigenen professionellen Objektivität. Und sie fühlen sich wie die „men in black“ in dem gleichnamigen amerikanischen Alien-Film. Sie sind nicht Teil des Systems, sie stehen nicht einmal außerhalb des Systems, sie schweben über ihm. Das führt zu einer ziemlich lästigen Schiedsrichter-Mentalität und dem permanenten Vergeben von Haltungsnoten, die jedem, der irgendetwas tut – ob in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder Kunst –, das Leben ausgesprochen schwer macht.

Der zweite Trend ist der Trend zur Herde. Wenn vor 20 Jahren die „Süddeutsche Zeitung“ eine spannende Geschichte brachte, würde der zuständige Ressortleiter einer anderen Zeitung einen Bericht über die Angelegenheit nur zugelassen haben, wenn der Autor ihr einen ganz wesentlichen neuen Gesichtspunkt hätte hinzufügen können.

Heute lautet die besorgte bis erboste Frage aller Chefredakteure: „Warum haben wir das nicht?!“ Was zum einen den Eindruck von einer Gleichschaltung der Medien befördert, den viele Leser und Zuschauer offenbar sowieso haben. Die Konzentrationsprozesse im Pressewesen tun ein Übriges. Zum anderen verstärkt die massenhafte, gleichgerichtete Berichterstattung den Spin einer Geschichte überproportional (die SPD ist ein Loser-Verein; der Bundespräsident muss unbedingt weg) und greift auf diese Weise massiv in die Wirklichkeit ein.

Mangelnde Empathie

Die mangelnde Empathie vieler Journalisten ist ebenfalls bemerkenswert. Oft verstehen sie nicht, wo die Logiken von Politik, Verwaltung und Medien einander absolut zuwiderlaufen. Der Journalist braucht sein Interview zum Beispiel am besten morgen, heute, sofort oder vorgestern; der Politiker oder Behördenchef muss sich vielleicht noch abstimmen, Rat einholen, eine zögernde Fraktion überreden und Ähnliches. Dem Politiker bricht eine unbedachte Äußerung vielleicht das Genick; der Journalist ist auf der Jagd nach unbedachten Äußerungen.

Auch ist vielen Medienleuten offenbar gar nicht klar, wie menschlich unangenehm Interviews sind, die grundsätzlich wie Verhöre geführt werden. Der Interviewer ist womöglich aufrichtig überzeugt davon, er frage nur „knallhart“ nach. Der Befragte sieht sich hingegen unter Generalverdacht gestellt: Irgendetwas will er doch bestimmt verschweigen, an irgendeiner Stelle will er lügen, irgendeine Sache vertuschen?

Irritierend ist auch die Übung, Leute anzurufen und sie zu fragen: „Möchten Sie nicht Zitat X zu Thema Y sagen?“ Das heißt eigentlich nur eines: Hier machen Medien selbst Politik. Was dem Publikum wirklich auf die Nerven zu gehen scheint, jedenfalls kommt das in vielen Zuschriften zum Ausdruck, ist die Monomanie, mit der sich Medien an einzelnen Themen festbeißen: Dann besteht die Welt monatelang nur aus Christian Wulff, nur aus Griechenland, nur aus Flüchtlingen, obwohl jeder ahnt, dass das so nicht stimmen kann.

„Das könnte ich besser als die“

Die Wulff-Häme; das Hecheln, mit dem hinter Ursula von der Leyens Biografie hergeforscht wurde; Klaus Wowereit, dem seine Interviewer bescheinigten, er sei eine „leere Hülle, die in Hülsen redet“; die (sicher ganz und gar nicht angemessene) Bezeichnung von Peer Steinbrück als „trauriger Clown“: Das alles beschädigt Politik, ohne den Medien zu nützen. Einwände gegen solche Übergriffe werden schnell als „Medienschelte“ oder „Angriff auf die Pressefreiheit“ disqualifiziert.

Der Mainzer Medienwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger hat die politische Berichterstattung seit den 50er-Jahren erforscht. Kamen früher auf eine positve Meldung über politische Vorgänge zwei negative Wertungen, so sind es heute fünf oder mehr. Kein Wunder, dass angesichts dieser Politikdarstellung laut einer aktuellen Allensbach-Studie fast die Hälfte der Befragten der Aussage zustimmt: „Die Politiker haben keine Ahnung. Das könnte ich besser als die.“ Und kein Wunder, dass sie die Medien, die all diese scheußlichen Dinge berichten, ebenso wenig mögen wie deren Berichtsgegenstände.

Wenn wir so weitermachen, werden sich die Leute nicht mehr lange über uns ärgern. Weil sie uns da abwählen, wo sie es können: am Kiosk und mit der Fernbedienung.

Der Artikel steht nun auch auf welt.de zur Verfügung.

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