Archiv für Juni 2016

Das Dilemma vieler Print-Journalisten.

Ein Beitrag zum Themengebiet Anmerken., geschrieben am 23. Juni 2016 von Thomas Lasser

Die von mit sehr geschätzte Journalistin Susanne Gaschke schrieb neulich in der Welt am Sonntag über die Hybris ihrer Kollegen und solcher, die sich dafür halten. Denn: Medien sind in der Bevölkerung mittlerweile ebenso unbeliebt wie viele Politiker. Buzzword Lügenpresse. Fatal, wenn man selber meint, eigentlich Qualitätsmedien zu konsumieren und sich einen großen Teil seiner Meinung mit ihrer Hilfe bildet. Wie konnte es bloss so weit kommen? Eine Spurensuche …

„Die Medien sind ja die vierte Gewalt“, soll ein ehemaliger Chefredakteur der „Berliner Zeitung“ einmal gescherzt haben, „aber was sind noch mal die anderen drei?“ Der „Spiegel“ vergleicht Journalisten in einem Artikel aus diesem Frühjahr mit den demokratisch gewählten Abgeordneten der Parlamente: „Wenn man so will, sind auch die Medien in Deutschland repräsentativ. Journalisten haben es zu ihrem Beruf gemacht, die Nachrichten zu gewichten und zu entscheiden, was wichtig und was nicht so wichtig ist“, schreiben die Autoren – und stellen ihren Lesern gleich noch die „Vertrauensfrage“.

Ein Mitglied der „Zeit“-Chefredaktion sagt in einem Jubiläumsinterview zum 70. Geburtstag der Wochenzeitung, wenn auch mit einem relativierenden Nachsatz: „Wir Journalisten haben eine Muezzin-Position.“

Diese drei Selbsteinschätzungen sprechen, vorsichtig ausgedrückt, nicht eben für ein mangelndes Selbstbewusstsein des Berufsstandes. Drei der vier Gewalten werden kontrolliert, von Wählern, von übergeordneten Instanzen, von der Presse. Wer aber kontrolliert die „vierte Gewalt“? Parlamentsabgeordnete werden gewählt und beziehen daraus ihre Legitimation. Wer legitimiert die Medien? Und wozu genau? Unter welchen Umständen müssen sie zurücktreten? Schließlich: Muezzin und kritisches Instrument der Aufklärung? Ernsthaft?

Schirrmacher sah „journalistisches Übermenschentum“

Hier sei die These gewagt, dass die Haltung, die in den zitierten Äußerungen erkennbar wird, in journalistischen Kreisen ziemlich verbreitet ist. Der frühere „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher hatte dafür kurz vor seinem Tod eine harte Formulierung gefunden: Er nannte sie „journalistisches Übermenschentum“.

Es ist zumindest denkbar, dass journalistisches Übermenschentum das Publikum sowohl politik- als auch medienverdrossen macht. Dass es also im Ergebnis schlecht für Verlagshäuser ist. Schlecht für Rundfunk- und Fernsehanstalten. Vor allem aber schlecht für die Demokratie.

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Berggasthaus Niedersachsen. Hoch Oliver.

Ein Beitrag zum Themengebiet Essen., geschrieben am 6. Juni 2016 von Thomas Lasser

Auf dem Gehrdener Berg wird seit gut einem halben Jahr neu gekocht. Lohnt sich der Ausflug an den Rand der Region? 

Dinge vor allem deswegen gut zu finden, weil sie von der Mehrheit der Menschen als geschmacklos, doof oder öde angesehen werden, gehört zur traditionellen Haltung der intellektuellen Oberschicht. Das Spektrum reicht da von euphorischem Lob für grauenhafte Songs einer Sängerin aus der Ukraine bis hin zu begeisterter Bekenntnis zu den großartigen Büchern einer Barbara Cartland. Und manchmal kommt in diesem Diskurs eben auch ein Restaurant zur Sprache. Was mir von Leuten schon so alles wärmstens empfohlen wurde, dann aber ein absoluter Reinfall war, würde den Umfang dieses Heftes sprengen.

Und nun also wieder so ein gut gemeinter Tipp. Nach Gehrden müsste ich, ins Berggasthaus Niedersachsen, da kocht seit einem halben Jahr ein Neuer! Familie Jurke, die es über 28 lange Jahre betrieben hatte, hätte sich zur Ruhe gesetzt! Ganz neue Impulse, ehrlich! Okay, der Neue ist ja gar nicht so neu, denn Oliver Gerasch hat zuvor jahrelang im Beckmanns Weinhaus gekocht, dem beliebten Restaurant mit italophiler Note in der Calenberger Neustadt. Also gut, denke ich, und mache, was ich allein wegen der Fahrerei eher selten tue: ich gehe essen in der Region.

Meine Fahrt führt mich vorbei an alten Villen, sehr vorstellig, hinauf auf den Haushügel von Gehrden, den sie hier Berg nennen. Ein traditionelles Gefühl macht sich breit, was auch nach der Ankunft im Berggasthaus nicht verfliegen will. Dafür ist der Service umso frischer. Richtiger Gegenpol, denke ich, und nehme Platz.

Nach den üblichen Speisekartenspielen samt schneller Bestellung meinerseits geht`s los. Und zwar mit dem Amuse Gueule, einer gebratenen Gamba auf Radieschen-Fenchelgemüse und in einer Buttersauce, was in dieser Kombination meinem Gaumen schlagartig wach werden lässt. Sehr ausgewogen. Dann die Vorspeise. Grüner Spargel mit einer Kräutervinaigrette, ebenfalls feinsinnig kombiniert und apart angerichtet. Jetzt bin ich wirklich gespannt, wie es weitergeht. Ausgewählt hatte ich Limonen-Ricotta-Ravioli mit Chicorée. Der Zwischengang ist eine halbe Portion, aber mit der vollen Wucht eines gut gemachten, kreativen Pastagerichtes. Sehr zufrieden lege ich das Besteck beiseite. Beim Hauptgang mal ein Klassiker, denn ich habe Lust auf ein Rinderfilet, und zwar »medium rare«. Die Karte verspicht dazu eine Balsamicoemulsion und grüne Bohnen. Was die Küche dann liefert, könnte perfekter nicht sein. Top Fleischqualität, großartig gebraten und veredelt mit einer geschmacklich runden Sauce zum Niederknien. Unter uns: So gut habe ich bei Oliver Gerasch im Beckmanns nie gegessen …

Und was gab es zu trinken? Wenig, ich muss ja noch fahren. Die Weinkarte ist geprägt von deutschen und italienischen Winzern. Insgesamt eher klein, aber eigentlich ist für jeden etwas dabei. Ein Sauvignon Blanc zur Vorspeise und zum Zwischengericht, ein Barbera zum Rinderfilet, zwei passende Begleiter für einen überraschend guten Abend. Es weht nicht nur ein frischer Wind auf dem Gehrdener Berg, da bahnt sich ein ausgeprägtes Hoch an.

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(Dieser Artikel erschien in »Hannover geht aus«, Ausgabe Sommer 2016. Jetzt am Kiosk! Ich fotografiere in den Restaurants grundsätzlich ohne Blitz. Daher die maue Ausleuchtung.)